Samstag, 30. Juni 2012

Wir waren die stärksten der Parteien

Titelblatt der Zeitung des KJVD, der Jugendorganisation
der KPD/AO von 1977. Als Cover wurde ein Foto
verwendet, das gemeinhin als das Bild des Sturms
auf den Winterpalast gilt. Freilich ist es kein Zeitdokument,
sondern stammt aus dem Film Oktober von Sergej Eisenstein.
Ein Bild das sich allgemein in den Köpfen als Ikone
der Oktoberrevolution, siehe (Standbild),  festgesetzt
hat. Gelegentlich kann es hilfreich sein, das eigene
Geschichtsbild (hier im Wortsinn) etwas zu hinterfragen.
Buchrezension
Mittlerweile gibt es etliche Veröffentlichungen über das Phänomen der sog. K-Gruppen der  70er Jahre, großteils von ehemals an führender Position Beteiligten. Sie sind aus einem zeitlichen Abstand von zum Teil mehr als zwanzig Jahren geschrieben und befassen sich großteils mit der Politik dieser Gruppen anhand ihres gedruckten Nachlasses und zum Teil auch mit der Beschreibung der eigenen Tätigkeit. Entsprechend seitenstark sind sie ausgefallen. Das Buch um das es hier geht, kommt mit weniger Text aus.

Als dieses Buch über die Innenwelt der K-Gruppen 77 erschien, waren diese noch Bestandteil der linken Politiklandschaft und quicklebendig.
Erstmals meldeten sich ehemalige Mitglieder zu Wort und berichteten subjektiv über ihre Motive, ihren Hintergrund der sie in diese Gruppen führte und wie es da zuging. Davor gab es zwar auch schon Aussteiger oder Ausgeschlossene, doch wenn sie sich überhaupt zu Wort meldeten, dann veröffentlichten sie ihre Gründe in der Zeitung einer konkurrierenden Organisation und dies in einer für Außenstehende unverständlichen Sprache, in der es um die politische Linie ging, die Argumentation bewegte sich nach wie vor in der Theologensprache des Marxismus Leninismus. Wer nicht mit dieser Ideologie vertraut war, konnte die Motive kaum nachvollziehen und wurde selten schlau daraus.

Die in dem Buch vorliegenden Texte sind dagegen selbst heute noch verständlich, auch wenn sich vieles auf die damalige Zeit bezieht. Vieles an Abkürzungen und Vorgängen die seinerzeit aktuell waren, sind heute nicht mehr jedem verständlich, doch dankenswerterweise gibt es ja Wikipedia.

Im Vorwort wird dies wie folgt beschrieben:

"Die meisten derjenigen Genossinnen und Genossen, die am Ende der Studentenbewegung in die neuen Parteien und Zirkel geströmt sind, haben heute diesen Organisationen den Rücken gekehrt. Die anfängliche Euphorie, nun endlich "das todsichere Rezept" zur Gesellschaftsveränderung gefunden zu haben, erwies sich als frommer Wunsch und der hektische Aufbruch der vielen endete oft im Katzenjammer der einzelnen. Wer nach zwei, drei, vier oder auch sieben Jahren politischer Tätigkeit "absprang", hatte nicht selten mit massiven psychischen Konflikten, persönlicher Ratlosigkeit, Resignation und Zweifel über Sinn und Zweck politischer Arbeit überhaupt zu kämpfen.

Doch ganz im Gegensatz zum propagandistischen Getöse der K-Gruppen drangen die Erfahrungen der ehemaligen Mitglieder nicht an die Öffentlichkeit, waren nicht Bestandteil des politischen Lernprozesses innerhalb der Linken."

Es war eben noch die Zeit des gedruckten Papiers und nicht jeder konnte so einfach veröffentlichen wie heute im Internet. Innerhalb der Parteipresse war das ohnehin nicht denkbar, hier wurden nur positive Meldungen gedruckt, interne Kritik war unerwünscht. Nach außen wollte jeder Verein ein geschlossenes Bild bieten, in dem es stetig voran ging, ein Prinzip, das bis heute für solche autoritär/hierarchische Kleinsekten gilt.

Weiter heißt es:

"Unsere Vergangenheitsbewältigung ist nicht unser Privatproblem, sondern Teil der Kritik an jenem falschen Poltikverständnis, das auch heute noch in der Linken mächtig ist: Nicht nur, weil die K-Gruppen aus ihren Fehlern nichts gelernt haben, sondern vor allein, weil die gesellschaftlichen Grundlagen weiterbestehen, die solche Politikauffassung fördern."

Diese Aussage gilt immer noch, auch wenn diese Vereine längst Geschichte sind. Ein Blick ins Netz zeigt, das es nach wie vor solche seltsamen Gruppen gibt, die meinen auf dieser Basis politisch was bewegen zu können.

Hier haben wir ein Stichwort, das noch danach die Auseinandersetzungen bestimmte. Das Politikverständnis auf deren Grundlage sich solche Sekten überhaupt bilden konnten, bestand aus Theoriegläubigkeit, Glaube an die sog. Klassikertexte und der Mißachtung eigener Erfahrungen. Die vormals kritische Beschäftigung mit der vergessenen Geschichte der Arbeiterbewegung, führte zu einer Geschichtsblindheit, die Propaganda für Wahrheit hielt, einen Kollektivmythos verbreitete, der die Beteiligten glauben machte, man sei Teil eines globalen Aufbruchs und Befreiungskampfes, bei gleichzeitiger Ignoranz der beschränkten Möglichkeiten im eigenen Umfeld. Zu diesem Kollektivmythos wäre noch anzumerken, er erzeugte die Ansicht, der Einzelne ist nichts, kleine Gruppen können ohnehin nichts bewegen, es geht nur mit der Arbeiterklasse, vertreten durch die richtige Partei. Wer in solchen Gruppen hinein geriet, glaubte an die Richtigkeit der Parteitexte und das sie nur noch verbreitet werden müßten. Jahre danach sträubten sich sogar bei ehemals Beteiligten die Nackenhaare wenn sie dies noch mal zu lesen bekamen. Man konnte zwar die Mitglieder seiner Gruppe abzählen, aber glaubte trotzdem, an einer Sache mit Zukunft beteiligt zu sein.

Zudem wird hier beschrieben, wie man sich mit der Organisation identifiziert und selbst bei unverständlichen Richtungsänderungen gegen die eigene Überzeugung die Klappe hält, man will ja nicht den Zusammenhalt gefährden. Ebenso wie es intern zuging, welche persönlichen Opfer verlangt wurden, damit die Parteiarbeit von den wenigen Leuten in dem Außmaß überhaupt aufrechterhalten werden konnte, oder wie es um Mitsprache in solchen Gruppen stand. Weil man meinte an einen großen Projekt beteiligt zu sein, brachte man auch persönliche Opfer, für  die man aber weder bei der zu befreienden Zielgruppe, noch innerhalb der Linken Anerkennung bekam. Innerhalb des Vereins wurde dies als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Um so größer war oft hinterher die Enttäuschung, wenn sich herausstellte, das alle Mühen offensichtlich umsonst waren und nichts bewirkt haben.

Zwei Phänomene führten zudem zum damaligen Erfolg dieser Parteigründungen. Der innerhalb der Linken allgemein verbreitete Glaube an die "heiligen Texte," illustriert im Kopfbanner der Zeitungen, bestehend aus der Reihe von Marx, Engels, Lenin, Stalin bis Mao plus dem Glauben, die aktuelle Realität anhand dieser Bücher begreifen zu können und damit zu wissen, wie man die Gesellschaft auf den Kopf stellen und alle Menschheitsprobleme lösen kann.

Dazu kam ein schlechtes Gewissen, das Schülern und Studenten eingeredet wurde, in der Form, du hast ja noch gar nichts zu sagen, geh erstmal arbeiten, du lebst ja selbst auf Kosten anderer. Dieses schlechte Gewissen, besonders bei Studenten, konnte von diesen Parteien in der Form des Mao Zitats, "Dem Volke dienen" kanalisiert werden und das liest sich dann so:
"Durch die "Linie" des KSV "dem Volke dienen" entstand insbesondere bei vielen Genossen ein schlechtes Gewissen, was ihre studentische Herkunft betraf. Eine blinde Verehrung für das "Proletariat" als "revolutionäre Klasse" und dieses schlechte Gewissen waren der Boden für eine handfeste Ausbeutung der Studenten durch die Partei."

Nur war von dieser revolutionären Arbeiterklasse weder was zu sehen, noch hatten sie die Ansicht ihre vorgebliche Mission zu erfüllen, sie wollten einfach nur mehr Geld und pfiffen auf linke Agitatoren. Gerade diese ständige Erfolglosigkeit führte einerseits zu einer Abschottung der Mitglieder von der Realität, andererseits bei denen, die noch etwas Restvernunft besassen, das sie diese Politikform zu hinterfragen begannen und den Ausstieg schafften.

Es lässt sich auch wie folgt ausdrücken:

"Ideologisch begründet wird diese Beschlagnahme der ganzen Person in der Forderung nach Umerziehung. Umerziehung bedeutet für den KSV, daß der Student, der Kleinbürger und Intellektuelle, sich nach dem Vorbild der Arbeiterklasse umzuformen hatte, genauso wie die revolutionäre Arbeiterklasse denken und handeln sollte. Das Problem liegt aber darin, daß diese revolutionäre Arbeiterklasse nur ein abstrakt konstruierter Begriff ist, daß es sie politisch greifbar und erkennbar gar nicht gibt. Deshalb bedeutet die Umerziehung für die Mitglieder des KSV, sich dem konstruierten Willen der Arbeiterklasse unterzuordnen, der sich angeblich in der Partei verkörpert."

Zu diesem Punkt wäre noch anzuführen, der Hass gegen geistige Arbeit, ausgerechnet von Vereinen, die zum größten Teil aus Studenten bestanden, wurde von Maos Kulturrevolution übernommen.
Einerseits ein Intellektuellenhass, andererseits eine Heroisierung der körperlichen Arbeit. In diesem Fall äußerte sich das in der Form, das Studenten in den Betrieben als Hilfsarbeiter (die konnte man ja an keine Werkzeugmaschine stellen)  ihre kleinbürgerliche Herkunft ablegen sollten und in einen bekloppten Proletenkult, das verstand man unter Umerziehung.
Reale Macht hatten diese Gruppen ja nicht, im Gegensatz zu China, wo der Intellektuellenhass ganz andere Außmaße annahm bis hin zur mörderischen Wut in Kambodscha.
Die Heroisierung der körperlichen Arbeit hatte ihren Ursprung in der Sowjetunion, wurde markanterweise von den Nazis und den Faschisten in Italien übernommen und in der Propaganda verherrlicht. Die entsprechende Grafik lässt sich bis heute bewundern.
Historisch gesehen ist sie älter und war eigentlich anders gemeint. Es ging um den Stellenwert der einfachen Arbeiter und Handwerker, deren Arbeit nichts galt (im Wortsinn) und darum. das ohne sie ja nichts ging. Ihre Tätigkeit sollte eben nicht länger gesellschaftlich ohne Wert sein und daraus leiteten sich ja auch die Forderung  nach Teilhabe und besseren Arbeitsbedingungen ab.
Die Kommunisten machten daraus einen Kult der Arbeit, der in der SU eher die Realität propagandistisch vernebelte. Die ML Vereine übernahmen diese Sicht vom Helden der Arbeit, ohne ihre Zielgruppe zu kennen. Die Malocher waren weder begeistert das sie Arbeiter waren, noch fühlten sie sich als Helden, sie wollten nichts weiter, als das ihre Gewerkschaft ein paar Mark mehr rausverhandelte.

Der Witz an dieser Geschichte ist, das diese Gruppen ein Arbeiterbild pflegten, das mit der Arbeitswelt der 70er Jahre nur noch wenig zu tun hatte. Die harte Knochenarbeit war längst von Maschinen abgelöst und war gar nicht mehr bezahlbar, oder fand nur noch an Arbeitsplätzen statt, wo Arbeiter stets schwerere Teile der Maschine zuführten. Daher wurde in der Graphik auf Bilder aus der Arbeitswelt der Weimarer Zeit zurückgegriffen. Selbst im Bergbau war der Hauer mit Schlagbohrer ein Auslaufmodell. Das Arbeitsbild der K-Gruppen würde man nach heutigen Sprachgebrauch als voll retro bezeichnen.

Das lässt sich aus so ausdrücken. Das Signum Hammer und Sichel. In der Landwirtschaft kam schon lange mehr kein Sichel zum Einsatz bzw. die Sense war ein Werkzeug der Vergangenheit. Der Hammer war zwar nach wie vor ein Universalwerkzeug, doch es gab genug Arbeitsplätze an denen kein Arbeiter einen Hammer benutzte.

Dafür gibt es auch Humorvolles zu lesen, etwa in dem Abschnitt der Parteibeamte:

"Nicht nur, daß sich Unmengen beschriebenen Papiers durch die Instanzen der Organisation wälzten, auch der Ausstoß nach außen war enorm. Es war durchaus keine Seltenheit, wenn ein Tagestrupp fünf oder mehr Flugblätter zu verteilen hatte. Kein Wunder, daß sich riesige Stapel nicht verteilter Aufrufe in den Räumen des KSV häuften. Dazwischen bewegten sich die Sekretäre und leitenden Kader, die man als Personen schon gar nicht mehr wahrnahm, so sehr waren sie bereits zum Inventar geworden. Einige Genossen schienen aus ihren Kunstlichträumen überhaupt nicht mehr herauszukommen, ihre Gesichtsfarbe war grau wie ihr Beamtenalltag. Für einfache Kader war das Betreten solcher Räumlichkeiten immer ein gewagtes Unternehmen: ständig mußte man gewärtig sein, von einem plötzlich aus einer Tapetentür tretenden Oberfunktionär zu irgendeinem Zusatzdienst verdonnert zu werden."
Wem das an deutsche Behördenbürokratie erinnern sollte, sicher kein Zufall.

Zwar geht es in den Berichten um die KPD/AO und den KBW, doch es dürfte auch für weite Teile der Politlandschaft zutreffen, da ging es auch nicht besser zu. Im Bericht über den KBW lesen wir einiges über das Innenleben und über den Sprachcode, der in solchen Gruppen üblich war.

"Mit der Zeit wurde der Sprachcode zur Umgangssprache jedes Mitglieds. Es verlernte, so zu sprechen, daß Nicht-Mitglieder es noch verstanden. Und es verlernte, von anderen Menschen geäußerte, nicht im Code gehaltene Aussagen zu verstehen. Alles was nicht Code war wurde von ihm als falsch oder "bürgerlich" abgelehnt. Wenn man mit anderen nicht mehr diskutieren kann, diskutiert man nicht mehr mit ihnen. Weil man sich nicht mehr mit anderen auseinandersetzt, verliert man den Bezug zur Realität."

Bemerkenswert, so war es 1977 zu lesen. Ein recht aktuelles Thema, wenn man heute die diversen Seiten, auch der vorgeblich undogmatischen Linken besucht, da stellt man schnell fest, die haben nach wie vor ihren eigenen Sprachcode der zeigt, wer dazugehört und wer nicht. Sicher hat sich der Code verändert, der Sprachgebrauch aus der K-Gruppenwelt ist nur noch wenigen vertraut, bereits die Akronyme wären ohne Wikipedia unverständlich. Der heutige Sprachcode treibt umso mehr sein Unwesen. Man sieht daran, das Buch ist alles andere als veraltet.

Folgende Aussage kann hier als Schlußwort gelten:

"Heute meinen wir, daß diese Organisationen nicht etwa an sich richtige theoretische Vorstellungen in falscher Weise praktisch umsetzen. Ihre Praxis ist vielmehr die Umsetzung des Marxismus-Leninismus. In diesem Sinne können wir sagen, daß die Erfahrungen in der KHG uns vom Marxismus-Leninismus abgebracht haben. Wir suchen nach gangbaren Alternativen einer sozialistischen Theorie und einer sozialistischen Organisierung."

Dies ist wohl eine der schwerwiegendsten Kritiken an diesen Politikformen, die nur in historisch instabilen Zeiten politische Bedeutung erlangen konnten bzw. nur in einem  Machtvakuum zur Macht gelangten. In Westeuropa dagegen hatten sie nie auch nur annähernd diese Möglichkeit, damit konnten solche Versuche nur im Sektierertum enden.

Es lässt sich auch auf den Realsozialismus, der ja mittlerweile Geschichte ist, übertragen. Der Sozialismus in den Ostblockstaaten war die Umsetzung der Theorie in die Praxis und das was man als real existierenden Sozialismus bezeichnete, war eben das Ergebnis. Das sollte man wissen, wenn wieder einige Nachzügler ihre obskuren Theorien vom Verrat an der reinen Lehre, von Opportunismus, Revisionismus und Restauration des Kapitalismus auf ihren Seiten der Netzwelt als absolute Wahrheit verkünden. Nicht alle sind lernfähig.